Noch vor gar nicht allzu langer Zeit war das Bild der spanischen Küche im Ausland auf Paella reduziert. Dabei genießt die berühmte Reispfanne gar nicht den Status eines Nationalgerichts, sondern hat nur an der valencianischen Küsete eine tiefere kulturelle Bedeutung. Außerhalb dieser Region findet man wenige Spanier, die behaupten, mehr als zwei oder drei Mal im Jahr Paella zu essen. Gewissermaßen stellt sie ein Touristengericht dar, was sowohl für ausländische als auch restspanische Urlauber gilt.
Seitdem die Tapas-Welle Mitteleuropa überrollte, hat sich die Vorstellung vom Essen in Spanien immerhin ein wenig differenziert.
Spanier sind leidenschaftliche Esser. Hauptziel von Wochenendausflügen ist meist weniger eine Stadt, eine Burg oder ein Berg, als vielmehr ein bestimmtes Restaurant. Die Qualität jedes Menüs wird voller Passion diskutiert und ist an jedem Montagmorgen Standardthema im Büro. Kulinarische Gesichtspunkte spielen eine wichtige Rolle bei der Auswahl des sommerlichen Urlaubsziels. Galicien, Katalonien und das Baskenland sind mit ihren regionalen Küchen besonders beliebt. Beim Auslandsurlaub tut man sich schwer mit der fremden Kochkunst. In Amerika ist das Essen viel zu eintönig, in Deutschland brät man mit Butter, Franzosen verwenden zu viele Kräuter, Muslime essen kein Schwein. Und Schinken ist eine heilige Kuh in Spanien. Auf Auslandsreisen ist nicht selten ein Paket im Koffer.
Zu den beliebtesten Reisezielen gehören Italien, Griechenland und Portugal. Wegen der kulinarischen Nähe. Man versteht sich eindeutig als der Teil der mediterranen Kochkultur. Die cocina mediterránea ist Dauerthema in den Medien und essenzieller Teil des Nationalstolzes. “Sie ist die beste, abwechslungsreichste und gesündeste Küche der Welt”, so der Standardsatz, den man fast immer zu hören bekommt, wenn man den Stein ins Rollen bringt.
Nun, man kann den Spaniern das übersteigerte Selbstwertgefühl in Bezug auf ihre Ernährungsgewohnheiten nicht übel nehmen, denn am Ende muss man eingestehen, dass sie höchstwahrscheinlich Recht haben. Ihre Kochkunst ist simpel und überzeugend, naturnah und ungemein abwechslungsreich. Die Vielfalt beginnt bei den Zutaten und endet bei den regionalen Varianten. Fleisch, Fisch und Meeresfrüchte stehen im Zentrum und werden von einer Vielzahl von gemüsen begleitet. Essenzielle Beigaben sind Wein und Olivenöl. In Butter oder Sonnenblumenöl zu braten ist ein Sakrileg.
Dass die spanische Küche niemals langweilig wird, liegt unter anderem an dieser Vielfalt der Zutaten. Schon auf der Fleischseite geht es weit über Rind, Schwein und Huhn hinaus. Kaninchen, Wachteln, Schnecken, Wildschweine, Lämmer, Ochsen, Fasane, Enten und Ziegen enden ebenso in Ofen und Kochtopf. Bei den Fischen wird die Auswahl endgültig unübersichtlich, viele Dutzend verschiedene Sorten werden verzehrt, pro Kopf und Jahr etwa 28 Kilogramm. Weiter geht es bei den Meeresfrüchten, die sich keinesfalls auf Krabben, Garnelen, Miesmuscheln und Austern beschränken. Auch die Palette von Produkten aus dem Gemüsegarten ist ungemein abwechslungsreich, mit delikaten Artischocken oder andernorts weitgehend vergessen Zutaten wie Kichererbsen oder Mangold. Außerdem sind Spanier große Liebhaber süßer Nachspeisen, der “postres”. Auch hier sind der Vielfalt keine Grenzen gesetzt.
Nahezu unbekannt ist die Qualität spanischen Käses. Überwiegend aus Schafs-, seltener aus Kuh- oder Ziegenmilch hergestellt, sind die meisten Käse sehr simpel, weit entfernt von französischer Raffinesse. Allerdings muss man für guten Käse ein bisschen mehr investieren und darauf achten, dass es sich nicht um Industrieprodukte handelt, sondern um in kleinen handwerklichen Betrieben hergestellte, lokale Produkte. Die findet man auf dem Wochenmarkt und in kleinen Nachbarshcaftsgeschäften, nicht im Supermarkt. Das Gleiche gilt für die heimischen Wurstwaren. Manche mag die leuchtend rote Farbe abschrecken, aber es handelt sich nicht um künstliche Farbstoffe, sondern schlicht um Paprikapulver
Für die Reisenden kann es zur Sucht werden, neue Gerichte zu probieren, denn die spanische Küche versteht es, auch die kuriosesten Ingredienzen in leckere Kost zu verwandeln. Die Grenze bildet meistens die Abscheu vor Ungewohntem; Schnecken, Seeigel und Schweinefüße sind nicht auf Anhieb jedermanns Sache. Doch ein bisschen Überwindung der eigenen Grenzen kann zu ganz neuen und großartigen Entdeckungen führen. Es sei also dringend empfohlen, Unbekanntes zu entdecken, das ist schließlich die Essenz des Reisens. Allzu viel falsch machen kann man in Spanien wirklich nicht und wenn einem ein Gericht tatsächlich mal nicht zusagt, kann man es stehen lassen und wenigstens sagen, man hat probiert.
Persönliche Vorlieben zu präsentieren, ist sicher nicht Sinn eines Reiseführers, aber “führen” heißt natürlich auch, eindeutige Empfehlungen abzugeben. Darum erlaube ich mir, eine ganz und gar subjektive Liste von zehn Gerichten zusammenzustellen, die man unbedingt kosten sollte und die populär genug sind, um sie auch tatsächlich in einem Restaurant anzutreffen. Einige stammen nicht originär von der Mittelmeerküste, sind aber weit verbreitete Klassiker der spanischen Küche.
Pulpo a la gallega - Tintenfisch auf galicische Art mit Paprikapulver und Kartoffeln
Gazpacho - Andalusische kalte Gemüsecreme
Fideua - Nudelpaella aus Valencia
Fricandó - Katalanisches Rinderfilet mit Sauce, manchmal mit Pilzen
Espetada - Gegrillte Sardinen aus Málaga
Fabada asturiana - Deftiger Bohneneintopf aus dem nördlichen Asturien
Calçot - Eine Art Lauchzwiebeln in Romesco-Sauce, üblicherweise nur im späten Winter und Frühjahr verfügbar
Xató - Südkatalanische Salatspezialität mit Kabeljau
Zarzuela - Besonders im Norden Valencias populärer Fisch- und Meeresfrüchteeintopf
Salmorejo - Kalte, manchmal auch warme Gemüsecreme aus Córdoba
Auszug Aus Mittelmeer-Route Spanien - Conbook Medien GmbH - ISBN 978-3-943176-52-0
Bild 1: Tapas en un establecimiento de Barcelona von José Porras
Bild 2: Polbo a feira von José Antonio Gil Martínez (CC BY 2.0)
Bild 3: Sardines grilled on the beach von Torre del Mar in Andalucía by glidemax (CC-BY-SA-2.5)